“Robert Walsers Leben – Genie und Stimmen”
Anton Fischer: Zu Robert Walsers und Emmanuel Lévinas‘ Leben und Werk
Robert Walser
Robert Walser wurde am 15.4.1878 in Biel geboren. Von 1884-1892 besuchte er die Volksschule und das Progymnasium. Am 22.10.1894 starb seine Mutter. Von 1896 an lebte er zehn Jahre in Zürich, unterbrochen von Aufenthalten in Berlin, Thun, Solothurn, München und Winterthur. Ab 1905 bis 1913 hielt er sich in Berlin auf und lebte dort zeitweilig bei seinem Bruder Karl, der Jugendstilmaler und Bühnenmaler bei Max Reinhardt war. Dort schrieb er „Geschwister Tanner“, „Der Gehülfe“ und „Jacob von Gunten“, die Romane, die zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurden. 1913 wieder zurück in der Schweiz, in Biel, traf ihn 1914 der Tod seines Vaters. Im selben Jahr leistete er wegen des Ausbruchs des 1. Weltkrieges Militärdienst. 1916 starb sein Bruder Ernst in der Heilanstalt Waldau bei Bern. Im Januar 1918 schloß Robert Walser sein Manuskript „Seeland“ ab. Drei Jahre später ließ Walser sich in Bern nieder. 1925 arbeitete er am „Räuber“-Roman. In Bern verfaßte er seine Texte zunächst als Mikrogramme, einer zwei Millimeter hohen Süterlin-Handschrift, bevor er sie abschrieb und an Verlage schickte.
Am 15.4.1928 wurde Robert Walser fünfzig Jahre alt. Wenig später, am 25.1.1929 trat er in die Heilanstalt Waldau, Bern, ein, wo sein Bruder Ernst 1916 gestorben war. Hier konnte Robert Walser noch schreiben. 1933 wurde er in die Heilanstalt Herisau verbracht, in seinem Heimatkanton. Hier schrieb Walser bis zu seinem Tode nicht mehr.
Ab 1936 besuchte ihn Carl Seelig, ein Schriftsteller und Dichtermäzen. 1944 starb seine Schwester Lisa, Seelig übernahm die Vormundschaft. – 1956 starb Robert Walser bei einem Schneespaziergang am Weihnachtstag, dem 25.12.1956.
Quellen: Robert Mächler: Das Leben Robert Walsers. Eine dokumentarische Biografie. Genf + Hamburg (Suhrkamp 1976). Robert Walser, Leben und Werk in Daten und Bildern. Mit einem Essay von Peter Hamm, hrsg. von Elio Fröhlich und Peter Hamm. Frankfurt am Main (it 1980)
Emmanuel Lévinas
Emmanuel Lévinas wurde am 30.12.1905 in Kaunas/Litauen geboren und starb am 25.12.1995 in Paris, wie Robert Walser am Weihnachtstag. Er studierte ab 1923 Philosophie in Straßburg und promovierte 1930 in Freiburg, nach Studium bei Husserl und Heidegger. 1940 kam er „in ein Lager in der Lüneburger Heide“, „seine Eltern und Brüder“ wurden von den Nationalsozialisten umgebracht. 1946 wurde er „Direktor der Ecole Normale Israélité Orientale“. Er habilitierte sich 1961 mit „Totalität und Unendlichkeit“. Später lehrte er an der Sorbonne, 1973-1976. Lévinas war ein moderner Dialogphilosoph. In „The Hearing Voices Café“ las ich am 17.10.14 aus meiner Dissertation „Der Weg zum anderen in Robert Walsers „Räuber“-Roman“. Prof. Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (Wien), der sich als Philosoph eingehend mit Lévinas beschäftigt hat, schrieb zuvor eine Email, die sich mit der Kompatibilität von Walser und Lévinas hinsichtlich einer Walser-Interpretation beschäftigt, so daß mein Vorgehen in der Diss. legitimiert erscheint.
Liebe Frau Therese Fischer,
danke für Ihren Bericht. Ich bin überzeugt, dass Anton diesen Vortrag sehr gut bewältigen wird. Auch Robert Walser war ein Grenzgänger und Emmanuel Levinas einer, der sprachlich an die Grenzen zu führen vermag.
Ich wünsche Anton viel Erfolg und alles Gute
und Ihnen herzliche Grüße
Wolfdietrich Schmied-Kowarzik
Lévinas‘ weiteren Hauptwerke sind: „Die Zeit und der Andere“, „Die Spur des Anderen“, „Wenn Gott ins Denken einfällt“ und „Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht“.
Quellen: Wikipedia, 19.7.2014, 22:05 Uhr.
Email von Wolfdietrich Schmied-Kowarzik, Montag, 13. Oktober 2014 19:40
Robert Walsers Stimmenhören und Dichtung als Begabung und Genie
Robert Walsers Vater Adolf Walser „hatte wenig kaufmännische Energie und manchmal zudem kein Glück“. So kam es zum „geschäftlichen Niedergang“ seines „Buchbinderatelier(s)“. In der Folge wurde seine Gattin Elisa „gemütskrank“. (Robert Mächler, Das Leben Robert Walsers, Genf und Hamburg 1976, S. 17) In „Der Teich“, einer mundartlichen Dichtung, die Robert Walser mit fünfzehn Jahren schrieb, täuscht die Hauptfigur, der Knabe Fritz, einen Selbstmord vor: „Die Wahrheit ist, auch ich will mich einmal ein bißchen vordrängen. Ich möchte sehen, ob meine Mutter auch um mich in Angst geraten kann. Ich bin doch gespannt, ob sie gleichgültig bleiben kann, wenn‘s heißt, der Fritz hat sich in den Teich gestürzt.“ (Robert Walser, Der Teich. Szenen, zweisprachige Ausgabe, hrsg. V. Reto Sorg, S. 17) Hier spielen Vernachlässigung und Rebellion eine Rolle. Wenig später starb die Mutter. Es mag infolgedessen zu Schuldgefühlen gekommen sein. Daß seine Mutter gemütskrank war und Robert Walsers Bruder wie er selbst später in die Heilanstalt Waldau kam, wo er 1916 starb, legt nahe, daß Robert Walser eine psychisch verletzbare Veranlagung hatte. Gleichzeitig legt die Begabung seines Bruders Karl, der ein bedeutender Jugendstilmaler und Bühnenmaler bei Max Reinhardt war und die seines Bruders Ernst, der „ein glänzender Klavierspieler“ war (Robert Mächler, Das Leben Robert Walsers, S.21), den Vergleich mit der Familie Mann nahe – der Bruder Hermann Walser war Geographieprofessor. Genie und Krankheit schienen gleichzeitig gegeben. Von hier aus erklärt sich eine gewisse Empfänglichkeit für das spätere Stimmenhören. – Aus einem ärztlichen Protokoll vom 12. Januar 1949, als Robert Walser in der Heilanstalt Herisau lebte, geht hervor, daß die Belastung durch die Stimmen sich hier verschlechterte: „Es gehe schon lange so, seit dem Eintritt in die Anstalt.“ (Robert Walser, Leben und Werk, hrsg. V. Elio Fröhlich und Peter Hamm, Frankfurt a. M., S. 296). Hier wird deutlich, daß die Gesellschaft damals noch zu wenig Antworten auf die Psychose wußte. Darum schrieb Robert Walser in Herisau auch nicht mehr. Schon in dem 1925 geschriebenen „Räuber“-Roman heißt es: „Es plagten ihn da sozusagen gewisse innere Stimmen.“ (Robert Walser, Jakob von Gunten, Der Räuber, in: Das Gesamtwerk in 12 Bde., Bd. VI, Zürich 1978, S.225). Welch ein Held muß Robert Walser gewesen sein, daß er sein Leben in Freiheit bis zum Januar 1929, als er in die Heilanstalt Waldau kam, durchhielt. Und wie wäre es ihm zu wünschen gewesen, die moderne Gesellschaft und die moderne Psychiatrie kennengelernt zu haben! Dann wäre auch daran zu arbeiten gewesen, was Walser im Ärzte-Protokoll in Herisau sagte: „Sehr selten höre er auch Angenehme, wobei die Stimmen dann mit ihm übereinstimmen.“ (Robert Walser, Leben und Werk, S.296). Dies ist aus meiner Sicht der tiefere Sinn einer jahrelangen Arbeit an dem Stimmen phänomen.