Von: “Anton Fischer” <>
Datum: 16. September 2014 18:13:38 MESZ
An: “Nele Wulff” <>
Betreff: Re: robert walser
Liebe Nele,
ich hätte noch einige Gedanken oder Assoziationen. Hinsichtlich des Untertitels “Das Irre im Garten der Arten” kam mir der Gedanke, daß wir Psychoseerfahrene für die Ökologie (den “Garten der Arten”) eigentlich schonender sind als viele Normale. Denn die meisten von uns haben nicht die finanziellen Mittel, sich ein Auto oder höhere Heizungskosten zu erlauben. Die Bescheidenheit der meisten Psychoseerfahrenen ist daher vorbildlich. Was auch mit dem “Irren im Garten der Arten” zusammenhängt, ist der Totemsglaube, den die Eingeborenen entwickelt haben und der zum Gleichgewicht der Arten führt. – Der Schamanenkult führt zu einer nicht wissenschaftlichen Behandlung der Kranken, die eine kollektive Psychose bei den Eingeborenen voraussetzt, wie Claude Lévi-Strauss, mit dem ich mich befaßt habe, beschreibt. – Im “Parzival” von Wolfram von Eschenbach gibt es einen Onkel Parzivals, der sich – sehr ökologisch – nur von Brennesselsuppe ernährt. Die Mystiker hatten religiöse Erlebnisse, die benachbart zum “Irrsinn” waren. Im “Iwein” von Hartmann von Aue liegt dieser Ritter “Iwein” in der Natur und – verletzt in seinem Blut liegend – phantasiert. – Schließlich wäre zu Ökologie noch zu sagen: Ich war vor Jahren öfter als Besuch in Bargfeld-Stegen, im Heinrich Sengelmann-Krankenhaus. Auf der anderen Seite der Straße geht es zum Gut Stegen, wo geistig Behinderte leben. Diese betreiben – man findet es, wenn man nicht nach rechts zu deren Wohnhaus, sondern nach links abbiegt – ein Bioland-Gewächshaus, das auch von diesen Behinderten betrieben wird, die dort arbeiten, also organisch-biologisches Gemüse (“Garten der Arten”) für Reformhäuser z.B. herstellen. Ich weiß nicht, ob es das dort noch gibt, weil es sehr lange her ist, daß ich da war. Aber es wäre doch interessant, vielleicht Bilder von Psychoseerfahrenen in die Homepage zu bringen, die im eigenen Garten oder berufsmäßig in einem arbeiteten. Nun fällt mir doch noch eine Geschichte ein, die ich wiedergeben könnte, vielleicht geht sie in die Homepage, vielleicht nicht:
Zwei Irre im Stadtpark
Vor einiger Zeit mußte ich zu meinem Psychiater. Da ich noch etwas Zeit hatte, ging ich bis dahin in den Stadtpark. Als ich wieder Richtung S-Bahn gehen wollte, sprach mich ein Mann an. Er war grau, verwahrlost gekleidet, mit ungekämmtem Haar und ungepflegtem Gesicht. “Du mußt mir helfen.” Er wies mich an, daß ich den Deckel des rollbaren Müllcontainers aufschieben und offenhalten solle. Als ich zu erkennen gab, daß es mir schwer fiel, weil einiges Gewicht auf mir lastete, zeigte er Zeichen der Unleidlichkeit: Ich hatte einfach offenzuhalten, bis der Mann seine Arbeit getan hatte. Mir wurde klar, daß wir beide nicht ganz richtig im Kopf waren, aber hier taten wir gemeinsam eine Arbeit, eine Arbeit für die Normalen. Als diese Handlung nun beschlossen war, entfernte ich mich unauffällig und machte mich auf den Weg zu meinem Psychiater. Dies war mir aber viel weniger wert als das eben Verrichtete. Denn hatte ich nicht selbst, anstatt meinen Doktor zu absolvieren, lieber Parkarbeiter werden wollen? Gerade hier im Stadtpark! Denn welcher konnte schon schöner sein als dieser. Und so empfand ich einen gewissen Neid auf den Mann. Denn: Waren wir nicht gerade eben noch zwei Irre im Park?
Ich hoffe, die Geschichte läßt sich verwenden. Ich war heute bei meinem Psychiater an der Hamburger Str. – und damals, vor einigen Jahren war ich gerade auf dem Weg zu ihm.
Viele Grüße
Anton